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Demonstrator aus nachwachsenden Rohstoffen

Architekturstudenten bauen Workbox im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts

Julian Weber und Raphael Reichert studieren im sechsten Semester Architektur. Für ihre Bachelorthesis bauen sie eine Workbox im Unternehmerpark Kottenforst in Meckenheim aus nachwachsenden zukunftsweisenden Rohstoffen. Welche Materialien sie verwenden und wie der Bau des Demonstrationsgebäudes abläuft, erzählen die zwei Studenten im Interview.

 

1.) Sie studieren Architektur im sechsten Semester. Was ist das Besondere an dem Studium?

Raphael Reichert: Mir gefallen besonders die kleinen Lerngruppen und die intensive Betreuung. Durch die Interdisziplinarität unseres Studiengangs und dadurch, dass wir nicht nur klassische Architektur lernen, sondern zum Beispiel auch wie Licht auf uns wirkt, wie sich der Mensch im Raum bewegt und wie er sich in diesem wahrnimmt, können wir immer wieder neu über den Tellerrand schauen. Das macht das Studium sehr spannend. Mir gefällt außerdem, dass wir oft selbstständig arbeiten und uns eigene Projekte suchen können. Diese Projekte werden manchmal auch in die Praxis umgesetzt, sodass ein sichtbares Ergebnis entsteht.  

Julian Weber: In unserem ersten Semester – vor dem eigentlichen Start in das Bauen, Ausdenken und Machen von Architektur – beschäftigten wir uns mit dem Menschen als „Maß aller Dinge“ in Form einer 1:1-Zeichnung. Zum Schutz und zur Verkleidung unserer ersten eigenen Haut benutzen wir Kleidung. Sie wird nach Regeln, Wünschen und Vorstellungen entworfen und geschneidert. In Selbstversuchen fertigten wir eigene Kleidung an – unsere zweite Haut. Im dritten Schritt näherten wir uns dem konstruktiven Entwerfen an und gestalteten in Form einer „Spaziergängerbox“ unsere dritte Haut. Aber nicht nur wir, die Architekturstudierenden, haben etwas erschaffen, gestaltet und entwickelt. Ebenso die Bildhauer, Eurythmisten, Maler, aber auch alle anderen. Wir alle, die an dieser Hochschule arbeiten und studieren, kreieren Tag für Tag etwas Neues und Wunderbares. Wir begeistern uns für bestimmte Fragestellungen und versuchen durch Ideen mit experimentellem Charakter, Atmosphären zu kreieren, ihre Qualität zu erkennen und durch das gemeinsame Tun, Entdeckungen zu machen. Und so gibt es neben der ersten Haut – unserer Selbst, der zweiten Haut – unserer Kleidung und der dritten Haut – dem Gebäude, was uns umgibt, eine weitere vierte Haut – unsere Mitmenschen und die damit verbundene Gemeinschaft. Und diese vierte Haut, die Mitmenschen und die Gemeinschaft dieser Hochschule – das Miteinander – macht es möglich, ein eigenständiges „Geistesselbst“ zu entfalten und zu entwickeln. Und genau das ist das Besondere an dem Studium.

2.) Sie schreiben zurzeit Ihre Bachelorthesis. Dafür bauen Sie eine „Workbox“ aus nachwachsenden Rohstoffen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Raphael Reichert: Ich wollte für meine Bachelorthesis ein möglichst praktisches Thema, etwas, das in die Realität umgesetzt und gebraucht wird. Als ich von meinem Professor Mathias Wirths erfahren habe, dass es die Möglichkeit gibt, an einem EU-Forschungsprojekt teilzunehmen, war ich sofort begeistert. Im Rahmen dieses Projektes, das in Kooperation mit der Universität Bonn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg stattfindet, bauen Julian und ich eine Workbox. Dieses kleine Gebäude dient als Demonstrator für zukunftsweisende, nachhaltige Baustoffe, an denen im Rahmen eines sechsjährigen EU-Projektes geforscht wurde. Das Vorhaben wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.

3.) Was ist das Besondere an der Workbox?

Julian Weber: Wir bauen einen Demonstrator aus nachwachsenden Rohstoffen, die sogenannte „Workbox“. Dabei sollen Miscanthus, Paulownia und andere nachwachsende Rohstoffe, aber auch Baustoffe wie Lehm und Stroh verwendet werden. Wir wollen zeigen, inwiefern diese nachwachsenden Roh- und Baustoffe zukunftsfähig sein können. Die Workbox wird zwei Umkleiden und einen Raum zur Ablage für Geräte und Maschinen beinhalten.


Raphael Reichert: Die Besonderheit der Workbox ist vor allem der hohe Anteil an nachhaltigen, zukunftsweisenden Materialien. Sie ist wie eine Collage von Baustoffen, an denen in den letzten sechs Jahren im Rahmen eines EU-Projektes geforscht wurde. Um die Verwendung der verschiedenen Baustoffe zu zeigen, haben wir eine 1,7 Meter lange Glasscheibe geplant, durch diese kann man den Wandaufbau der Workbox sehen. Unterhalb dieser Glasscheibe sollen Schilder mit Informationen über die Baustoffe angebracht werden. Wir wollen beispielsweise die Dämmwerte unterschiedlicher Miscanthus-Schüttungen darstellen. Für mich ist es ein besonderes Erlebnis, ein selbst geplantes Gebäude eigenständig zu bauen, wachsen zu sehen, Rückschlüsse auf die Planung zu ziehen und dabei im Maßstab 1:1 ein Gefühl für die verschiedenen Baustoffe zu entwickeln.

4.) Wie läuft der Bau der Workbox ab?

Raphael Reichert: Nach Abschluss der Entwurfs- und Ausführungsplanung haben wir uns zunächst mehrere Wochen um die Beschaffung aller Materialien und benötigten Werkzeuge gekümmert. Dazu haben wir Bestelllisten, den Baustellenplan, die Bauanleitung und einen Zeitplan ausgearbeitet. Zurzeit befinden wir uns in der Bauphase, welche nach Zeitplan zwei Monate dauert und Ende Juli abgeschlossen wird.
Für den Bau der Workbox war es unser Ziel, möglichst viele der im Rahmen des EU-Projektes erforschten Materialien zu verwenden und deren Anwendung an unterschiedlichen Wandaufbauten zu zeigen. Das bis zu 5 cm am Tag wachsende Chinaschilf Miscanthus findet dabei unterschiedliche Verwendung: als Schüttdämmung in der Wand, als gepresster Plattenbaustoff an der Innenwand, als Dämmputz, als Hauptbestandteil einer Leichtbetonwand sowie auf dem Dach und an zwei Außenwänden als Reet-Deckung. Für das Ständerwerk, die Außenwandverkleidung und für die Möbel der Inneneinrichtung nutzen wir das ebenfalls sehr schnell wachsende, leichte Paulowniaholz. Im Innenraum kommen zudem Lehmplatten und Lehmputz zum Einsatz.

Julian Weber: Die Bachelorthesis gliedert sich in insgesamt fünf Phasen: Standortanalyse, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Bauprozess sowie Präsentation und Dokumentation. Die ersten drei Phasen sind bereits abgeschlossen. Nun ist die Umsetzung im vollen Gange. Finanziert wird der Bau der Workbox durch Forschungsmittel und Sponsoren. Die Stadt Meckenheim als Partnerin des Forschungsprojektes stellt unter anderem ein 5.000 m² großes Gewerbegrundstück, Wasser und Strom zur Verfügung. Zahlreiche Unternehmen und Kooperationspartner haben den Bau der Workbox außerdem mit Materialien und Werkzeugen unterstützt. Die Universität Bonn liefert die ökologischen Baumaterialien und bepflanzt später die Fläche zu Forschungszwecken. Ziel der Projektbeteiligten ist es, an dieser Stelle ein Kompetenzzentrum für zukunftsweisende Baumaterialien zu etablieren. Es soll neben der Workbox einen Showroom, ein Forschungslabor, Büros sowie Felder zum Experimentieren an Prototypen und Anpflanzungen von nachwachsenden Rohstoffen, wie Miscanthus und Paulownia, beinhalten.

5.) Welche Inhalte aus Ihrem Studium können Sie in das Projekt einfließen lassen?

Raphael Reichert: Alles was mit der Planung der Workbox zusammenhängt, also die Standortanalyse, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung und auch die ausführliche Dokumentation, sind Inhalte, welche wir bereits in vorherigen Semestern unseres Studiums gelernt und behandelt haben. Durch das Projekt der Workbox habe ich zudem viel Neues gelernt. So konnte ich nicht nur meine handwerklichen Fähigkeiten ausbauen, sondern auch neue Erkenntnisse in den Bereichen Kostenberechnung, Bauablaufplanung, Baustoffbeschaffung und Kommunikation mit Lieferanten, Förderern und Presse gewinnen.

6.) Als Architekturstudenten beschäftigen Sie sich mit verschiedenen Fragestellungen: Wahrscheinlich auch mit der Frage: Wie will ich leben? Was denken Sie darüber und wie beeinflusst diese Frage den Bau der Workbox?

Julian Weber: Auf diese Frage gibt es fast so viele Antworten, wie es Menschen auf der Welt gibt. Für den einen liegt das Glück in Familie und Geborgenheit, der andere genießt im Vergleich dazu sein abgekapseltes, einzelnes Leben. Für mich gibt es keine konkrete Antwort auf diese Frage, aber zahlreiche Denkanstöße, wie ich meinem persönlichen Glück im Leben begegnen kann. Dazu muss ich zunächst einmal klären, was ich denn im Leben möchte und was mir wirklich wichtig ist. Die eigenen Werte zu kennen und im Einklang damit zu handeln, ist das wichtigste Fundament im Leben. Ich könnte jetzt Bücher im Bereich der Psychologie und Philosophie lesen und nach einer Art Anleitung suchen, jedoch behaupte ich, dass ich darin keine zufriedenstellenden Antworten finden würde. Um Antworten auf meine Frage zu finden, muss ich mich auf eine Reise begeben. Wie der Schauspieler Andrew McCarthy mal sagte: „Desto weiter ich reise, desto näher komme ich an mich heran.“ Also setze ich Segel mit dem Wissen, dass nicht das Ziel das Ziel ist, sondern der Weg das Ziel. Und auf dieser Reise steht man einerseits vor einer Vielzahl von Herausforderungen, andererseits finden auch die unterschiedlichsten Begegnungen statt. Mal kann es sein, dass ich Gegenwind habe oder es windstill ist und ich deshalb nur schwer vorwärtskomme. So wie sich mein Umfeld verändert, muss ich dann den Weg ändern und mich den Veränderungen anpassen. Es findet also stets ein Wandel statt, bei dem es einerseits gilt, sich als Person kennenzulernen, zu entwickeln, sich seinen Werten bewusst zu werden und seinen Zielen zu folgen, anderseits jedoch auch flexibel und aufgeschlossen auf Veränderungen zu reagieren und bereit zu sein, einen neuen Weg einzuschlagen und die Segel neu zu setzen.
Der Bau der Workbox ist eine große und lange Reise. Und dabei wird bei späterer Betrachtung vielleicht nicht einmal das Ziel das Ziel gewesen sein, sondern der Weg dorthin. Denn desto länger wir bauen, desto mehr lernen wir dazu. Auf dem Weg stehen wir manchmal vor Herausforderungen wie Liefer- oder Terminverzögerungen, an vielen Tagen finden die unterschiedlichsten Begegnungen mit Menschen statt, die einfach vorbeikommen und sich für das Projekt interessieren. Mal kann es sein, dass wir schlechtes Wetter haben und wir den Tagesplan ändern müssen oder nur schwer vorwärtskommen. So wie sich unser Umfeld verändert, so müssen wir dann auch den Weg ändern und uns den Veränderungen anpassen. Es findet also stets ein Wandel statt.
Und genau das macht auch die Architektur so interessant – man hat nie mit Beständigkeit zu tun. Architektur befasst sich mit der ständigen Dynamik zwischen Kunst, Gesellschaft und dem Menschen. Kreatives und innovatives Denken des Individuums sind genauso gefragt wie technisches Wissen und künstlerische Ästhetik, aber auch gesellschaftliches Verständnis spielt eine große Rolle. Diese Erfahrung durfte ich an jedem einzelnen Tag meines Studiums machen und mit jedem neuen Semester habe ich neue Erkenntnisse gewinnen können, die mir nun bei dem Abschluss meines Studiums sehr helfen.

 

Auf Instagram können Sie den kompletten Bauprozess der Workbox verfolgen: _vision_architecture_

Lesen Sie auch die Projektbeschreibung.

Demonstrator aus nachwachsenden Rohstoffen