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Versteckte Potenziale wecken

Ästhetische Bildung im Pädagogik-Studium

Künstlerische Projekte wie ein gemeinsames Theaterstück können ungeahnte Kräfte freisetzen und neue Erfahrungsräume eröffnen. Sprech- und Theaterpädagogik vermittelt dafür nicht nur das nötige methodisch-didaktische Werkzeug, sondern bietet auch den Studierenden jede Menge Möglichkeiten zur Selbsterkundung. Ulrich Maiwald, Professor für Sprache und performative Kunstan der Alanus Hochschule, berichtet im Interview von seinen Erfahrungen.

Drei Fragen an Ulrich Maiwald, Professor für Sprache und performative Kunstan der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn.

Was verstehen Sie unter ästhetischer Bildung und welchen Stellenwert hat sie in der Ausbildung von PädagogInnen?
Ästhetische Bildung umfasst für mich drei zentrale Aspekte. Zum einen geht es darum, sich mit Kunst und Ästhetik wahrnehmend zu beschäftigen und auf diese Weise seine persönliche Perspektive auf die Welt zu erweitern. Zum anderen gehört dazu auch, selbst kreativ tätig zu werden, die Ausdrucksmittel der Kunst zu erfahren und nutzen zu lernen. Drittens schließlich lernen wir über die ästhetische Auseinandersetzung mit der Welt auch uns selbst und unsere Potenziale besser kennen und können uns auf diese Weise weiterentwickeln – es geht also auch um Selbsterziehung.In der Pädagogik brauchen wir neben Fach- auch Handlungskompetenz. Dafür ist die Kunst ein ideales Lernfeld, denn ich kann nie beim Wissen stehenbleiben. Das, womit ich mich im künstlerischen Prozess gedanklich und emotional auseinandersetze – indem ich Ideen entwickle, mich mit meinem eigenen Seelenleben, aber auch dem Stoff beschäftige – wird nur wahrnehmbar, wenn ich es auch praktisch umsetze. Der Gedanke und das Gefühl müssen also in die Handlung geführt werden. Hinzu kommt, dass wir in der Pädagogik nicht nur mit unserer Fachkenntnis auf Kinder und Jugendliche wirken, sondern mindestens ebenso stark auch durch unsere Persönlichkeit. Hier bietet die Kunst einen Schutz- und Erfahrungsraum, in dem ich mir selbst näherkommen kann, weil ich mir etwa im Schauspiel Freiheiten nehmen darf, die vielleicht im öffentlichen Leben zu Spannungen führen könnten.In den Kursen für die Studierenden, etwa zur Sprech- und Theaterpädagogik, geht es natürlich auch um methodisch-didaktische Gesichtspunkte: Was kann man wann mit den Kindern erarbeiten? Dazu gibt es seit ein paar Jahren den Zertifikatskurs Sprech- und Theaterpädagogik, der eine entsprechende Vertiefung bietet. Wichtig ist aber auch hier der persönlichkeitsbildende Aspekt. Da geht es dann weniger um die Vermittlungskompetenz, sondern um die Selbsterfahrung – am künstlerischen Material und innerhalb der Gruppe.

Welche Reaktionen erleben Sie bei den Studierenden?

Es gibt eine starke Nachfrage. Die Kurse sind gut gefüllt. Die Studierenden berichten, dass sie sich durch die Projekte ganz anders kennenlernen können. Viele hatten vorher keinerlei Theatererfahrungen. Sie entdecken bisher unbekannte Potenziale und gewinnen an Selbstsicherheit.Im Bachelor-Studiengang Kunst – Pädagogik – Therapie gibt es ein spannendes Zusammentreffen von bildender und darstellender Kunst, die zunächst ja geradezu entgegengesetzt zu sein scheinen. Das Verbindende ist jedoch, dass beide Bereiche innere Bilder brauchen, die zum Ausdruck gebracht werden. Die Studierenden entscheiden dabei selbst, wie weit sie gehen wollen, ob sie ihre Grenzen überschreiten oder besser noch erweitern wollen. Durch dieses Grundklima des respektvollen Arbeitens verlieren sich die vereinzelten anfänglichen Vorbehalte meist schnell – und dann wird es richtig spannend!

Für die gesellschaftliche Wirksamkeit der ästhetischen Bildung ist es nötig, dass sie aus den Nischen eher privilegierter Kreise heraustritt. Wie gelingt es Ihnen, auch Menschen zu erreichen, die nicht ohnehin durch Elternhaus oder Schule an die Kunst herangeführt worden sind?
Ich selbst habe mich immer bewusst darum bemüht, indem ich zum Beispiel neben meiner Tätigkeit an einer Waldorfschule parallel an anderen Bildungseinrichtungen Theaterprojekte geleitet habe. Deshalb ermuntere ich auch die Studierenden, ihre eigenen Projekte an unterschiedlichsten Einrichtungen zu realisieren. Sie arbeiten mit Kindergärten und Schulen zusammen, mit Schulen für Menschen mit Behinderung, aber auch Jugendzentren in Problemvierteln. Künstlerische Projekte wie ein gemeinsames Theaterstück können ungeheure Kräfte freisetzen, gerade dort, wo die Menschen es nicht gewohnt sind, ihre Energie auf diese Weise zu kanalisieren. Eine Schülerin hat einmal zu mir gesagt: „Wir haben endlich mal was vom Anfang bis zum Ende durchgehalten und auf die Beine gestellt.“ Wichtig ist dabei auch, dass das Ergebnis von außen wahrgenommen wird: Die Beteiligten erhalten Applaus und Wertschätzung für das, was jede und jeder Einzelne dabei geleistet hat. Sie erleben, dass sie an sich arbeiten und etwas aus sich herausholen können – das braucht Mut, aber es kann gelingen. Diese Erfahrung überdauert das flüchtige Erlebnis der Aufführung bei Weitem und wirkt nach, weil die Kinder und Jugendlichen dadurch Selbstwirksamkeit und Wertschätzung verspüren.

 

Zur Person:
Ulrich Maiwald (geb. 1966) ist seit 2012 Professor für Sprache und performative Kunst am Institut für Schulpädagogik und Lehrerbildung der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn. Er leitete über 100 Theaterprojekte mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie performative Aktionen mit Studierenden und Jugendlichen im öffentlichen Raum. Als Dozent ist er in der Lehrer- und Erwachsenenbildung sowie in diversen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen tätig.

(Foto: Nola Bunke)

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