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„Kindheit neu denken“ – 15 Jahre Kindheitspädagogik an der Alanus Hochschule

Interview mit Prof. Dr. Stefanie Greubel, Studiengangsleiterin und Prorektorin der Alanus Hochschule

Seit 15 Jahren bietet die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn den Bachelorstudiengang Kindheitspädagogik an – für Menschen, die Kindheit verstehen und gestalten wollen: mit Kopf, Herz und Hand. Der Studiengang startete 2010 als einer der ersten in Deutschland und ist bis heute der einzige mit waldorfpädagogischem Schwerpunkt. Ende Oktober 2025 wurde das 15-jährige Bestehen des Studiengangs mit einem großen Festakt und vielen Wegbegleiter:innen gefeiert. Zum Jubiläum spricht Prof. Dr. Stefanie Greubel im Interview über den Mut, Kindheit neu zu gestalten und darüber, warum Pädagogik dort beginnt, wo ein Kind wirklich gesehen wird. 

Frau Prof. Dr. Greubel, 15 Jahre Kindheitspädagogik an der Alanus Hochschule – was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Hier beginne ich gerne mit einer persönlichen Rückblende: 2012 wurde ich zur Alanerin, ich war junge Mutter, zufrieden mit meiner bisherigen Ausrichtung im wissenschaftlichen Kontext und hatte eigentlich nie vor, Professorin zu werden. Doch als ich die Ausschreibung der Alanus Hochschule las, die schon fast zu perfekt auf meine Interessen zugeschnitten war, fühlte ich mich sofort angesprochen. Beim öffentlichen Berufungsvortrag wurde mir schnell klar: Hier geht es um ein echtes Anliegen. Ich blickte auf junge Menschen, die dicht gedrängt den Seminarraum füllten und damit die Mitglieder der Berufungskommission fast schon abseits schoben, und die mehr über mich und meine Haltung erfahren wollten: „Was ist Ihnen wichtig im Umgang mit Kindern? Wie blicken Sie auf Familie? Wie lässt sich Qualität in der pädagogischen Praxis verbessern?“ Diese Begegnung war so eindrucksvoll, dass ich dachte: Hier gehöre ich hin. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Ich traf ein Team, das vor Energie, Zuverlässigkeit und Humor sprühte. Gemeinsam konnten wir die junge wissenschaftliche Disziplin der Kindheitspädagogik mitgestalten, mit Pioniergeist, fachlicher Expertise und viel Freude. Wir waren einer der ersten Studiengänge der Kindheitspädagogik bundesweit und bis heute der einzige Studiengang mit einer waldorfpädagogischen Vertiefung. Darauf sind wir stolz.

Gesellschaftliche Entwicklungen prägen unsere Arbeit: 2013 kam der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für unter Dreijährige, jetzt steht der Anspruch auf Ganztagsbetreuung für Erstklässler bevor. Wir reagieren mit Weiterbildungen, neuen Schwerpunkten und flexiblen Studienzugängen für Quereinsteiger:innen. In den letzten 15 Jahren haben wir zeigen können: Wir zeichnen uns sowohl durch Kontinuität aus, vor allem hinsichtlich unserer pädagogischen Haltung, als auch durch Flexibilität, beispielsweise durch die stetige Weiterentwicklung unseres Studienangebots. Diese Verbindung aus Kontinuität und Wandel ist typisch für uns. 

Die schönsten Erinnerungen sind oft die leisen: Positive Rückmeldungen von Studierenden und Eltern zu unserer Arbeit, das Willkommenheißen neuer Studierender und Kolleg:innen, das gemeinsame Durchstehen der Corona-Zeit, inklusive Hula-Hoop vor dem Bildschirm und Tanzen im Flur. Solche Momente machen die Verbundenheit unserer Gemeinschaft aus.

Was macht Kindheitspädagogik im Kern aus und warum braucht unsere Gesellschaft heute mehr Menschen, die dieses Fach studieren?

Ich sage immer: Das ist der coolste Studiengang! Und zwar für alle, die ein echtes Interesse an Kindern, Familie und Gesellschaftsgestaltung haben. Selbstbewusst formuliert: die Kindheitspädagogik vereint von allem das Beste, denn sie ist interdisziplinär aufgestellt: Wir blicken aus der Perspektive der Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Rechtswissenschaft und natürlich Pädagogik auf die Sozialisation und Entwicklung von Kindern und ihren Familien. Kurz gesagt, wir erforschen den Gesamtkontext des familiären und gesellschaftlichen Systems und blicken dann mit einer Lupe auf spezifische Bereiche, die für unsere pädagogische Arbeit wichtig sind. 

Das Studium vermittelt wissenschaftliche und praktische Kompetenzen und fördert zugleich die Reflexion der eigenen Persönlichkeit. Unsere Studierenden lernen, ihre eigene Sozialisation zu reflektieren, ihre individuellen Kompetenzen ebenso wie ihre Grenzen wahrzunehmen und über sich hinauszuwachsen. 

Die Lebenssituation von Kindern hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert: Sie sind Träger eigener Rechte und sie werden zunehmend als Expert:innen für ihre eigene Befindlichkeit anerkannt. Dennoch haben wir mit Chancenungleichheit zu kämpfen. Jedes vierte Kind in Deutschland ist auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen. Das sind etwa drei Millionen Kinder, die in Gefahr sind von der sozialen Teilhabe ausgeschlossen zu sein. Kindergarten und Schule können hier unterstützen und es braucht Menschen, die mit professionellem Blick und empathischer Haltung, die Kinder sensibel und kompetent in ihrem Entwicklungsprozess begleiten und fördern. Kindheitspädagog:innen haben das entsprechende Rüstzeug, um Orte zu gestalten, an denen Chancengleichheit und pädagogische Qualität wirklich gelebt werden.

Die Alanus Hochschule legt auch in nicht-künstlerischen Studiengängen Wert auf eine künstlerische Haltung. Wie prägt das die Ausbildung künftiger Kindheitspädagog:innen?

Künstlerische Haltung bedeutet für mich Offenheit gegenüber dem Unbekannten und die Fähigkeit, kreativ, intuitiv und flexibel auf Situationen zu reagieren. Kunst wirkt persönlichkeitsbildend und inspiriert zu neuen Lösungen. Im Studium begegnen unsere Studierenden der Kunst auf vielen Ebenen: in künstlerischen Übungen, im Ausdruck, im Spiel. Dabei geht es nicht nur um Malen oder Singen, sondern um Haltungsbildung. In der künstlerischen Auseinandersetzung lerne ich viel über meine eigenen Grenzen, das Singen eines Liedes kann eine konfliktreiche Situation entschärfen, in der Beschäftigung mit Sprachentwicklungstheorien kann ich die Brücke zu sprachanregenden Kinderreimen und Tanz schlagen. Letztendlich kommt die pädagogische Begleitung von Kindern nicht ohne künstlerische Elemente aus, da sie auch ein verbindendes Element zwischen Natur und Kultur darstellt. 

Die Alanus Hochschule ist ein Ort, an dem diese Erfahrungen selbstverständlich sind. Studierende verschiedener Disziplinen inspirieren sich gegenseitig. So entsteht eine künstlerisch-pädagogische Haltung, die Kinder wirklich erreicht.

Oft ist vom „Praxisschock“ nach dem Studium die Rede. Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf die Realität im Berufsfeld vor?

Darauf legen wir großen Wert. Unsere Strategie ruht auf drei Säulen: Erstens pflegen wir ein starkes Praxisnetzwerk. Vertreter:innen aus der Praxis sind in Gremien, Lehrveranstaltungen und Exkursionen eingebunden. Zweitens begleiten wir die Studierenden intensiv in Seminaren und kleinen Gruppen, vor und nach den Praktika. Drittens setzen wir auf umfassende Praxiserfahrung: Wir haben die vorgeschriebenen Praxistage fast verdoppelt und drei Praxiszeiten pro Jahr verbindlich eingeführt.

Die theoretischen Bausteine sind zudem auf drei Präsenztage komprimiert, sodass zwei Tage pro Woche auf Wunsch für praktische Arbeit bleiben. Dieses Modell mildert den Praxisschock deutlich und fördert gleichzeitig den Theorie-Praxis-Transfer.

Und persönlich: Was treibt Sie an, sich seit so vielen Jahren für die Kindheitspädagogik stark zu machen?

Ich habe zu Beginn dieses Interviews zugegeben, dass ich eigentlich nie Professorin werden wollte, dass mich aber die Begeisterung für die Themen der Kindheitspädagogik gefangen genommen hat. Heute kann ich sagen: Ich liebe es, Professorin der Kindheitspädagogik zu sein!

Ich kann mich einerseits in die Fachwelt der Kindheitspädagogik vertiefen und mit eigenen Forschungen, zum Beispiel zu Übergangsprozessen oder Familienbildern einen Beitrag leisten. Ich bin in der Szene vernetzt und pflege Freundschaften zu Vertreter:innen der Kindheitspädagogik in ganz Deutschland, kann mich in überregionalen Gremien für die Belange der Kindheitspädagogik einsetzen und last but not least: Ich habe das große Privileg, mit Studierenden in den Dialog zu treten. Es macht mir eine unglaublich große Freude, Studierende in ihrem Prozess zu begleiten, sie für Forschung und Wissenschaft zu begeistern und ich selbst gewinne im Austausch mit ihnen immer wieder neue Erkenntnisse und kann somit meinen Horizont erweitern. Dies ist eine unglaubliche Bereicherung. 

Es hat mich berührt, dass zu unserer Feier viele Ehemalige gekommen sind und sowohl aus einer fachlichen Perspektive als auch aus einer persönlichen Sicht wertschätzend über unseren Studiengang und unsere Mitwirkenden gesprochen haben. Es war eine ehrliche Wiedersehensfreude zu spüren, die unsere Jubiläumsfeier getragen hat.

Ich habe meine Festrede mit einem Zitat der Schauspielerin Nathalie Beye beendet: „Es ist ein unglaublicher Luxus, seine Arbeit zu lieben.“ Genau das empfinde ich – und dafür bin ich dankbar: der Vereinigung der Waldorfkindergärten und der Software AG Stiftung als Förderer des Studiengangs und der Hochschule, meinem Team und all unseren Studierenden – früher und heute.

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