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Architektur trifft Archäologie: Zu Besuch bei den Oberkasseler Menschen

Kreativ und praxisnah: Im Architektur-Studium an der Alanus Hochschule befassen sich die Studierenden immer wieder auch mit konkreten Projekten. Ein besonderes Beispiel ist die 2017 eröffnete Aussichtsplattform Rabenlay in Bonn-Oberkassel oberhalb einer riesigen Felswand. Auf die Idee dazu kam Student Ido de Baat. Die Plattform bietet einen grandiosen Blick über das Rheintal – und macht auf eine bedeutende steinzeitliche Ausgrabungsstätte aufmerksam.

Ein malerisches Panorama: Von links schweift der Blick über den Drachenfels bis nach Bonn. Weit hinten am Horizont – die Eifel. Hoch oben, direkt an der Abbruchkante der bekannten Felswandformation in Bonn-Oberkassel, befindet sich die Aussichtsplattform Rabenlay. Unterhalb der über 100 Meter hohen Felswand entdeckten Steinbrucharbeiter 1914 die Skelette einer Frau und eines Mannes – beide wurden an dieser Stelle vor über 14.000 Jahre bestattet. Bis heute zählt die Entdeckung der sogenannten Oberkasseler Menschen zu den archäologisch bedeutsamsten Funden aus der jüngeren Altsteinzeit in Deutschland. So fanden Archäolog:innen im Doppelgrab seltene spätsteinzeitliche Kunstwerke – unter anderem einen 20 Zentimeter langen Knochenstab mit geschnitztem Tierkopf sowie eine etwa neun Zentimeter lange Elchkuh-Figur.

Erst seit 2017 kann die Ausgrabungsstätte auch von oben über die aus Holz und Stahl gebaute Aussichtsplattform besichtigt werden. Was viele nicht wissen: Die Idee für den Bau einer Aussichtsplattform hatten Architektur-Studierende der Alanus Hochschule im Jahr 2013. Als einer der beiden Kursleiter kann Willem-Jan Beeren, Architektur-Professor, viel über das Projekt erzählen. „Toll an dem Projekt war, dass dieses tatsächlich bis zur Umsetzung durchgeführt wurde. Es ist genau das, was wir uns im Idealfall wünschen; nämlich dass unsere Ideen zu Themen oder Projekten weitergegeben und am Ende realisiert werden.“ Wie aber kam es dazu? „Das LVR-Landesmuseum Bonn fragte uns, ob wir uns vorstellen könnten, unsere Studierenden darüber nachdenken zu lassen, wie die Fundstelle neu gestaltet werden kann“, erinnert sich Beeren. Daraufhin startete er einen Workshop, an dem etwa zehn Bachelorstudierende teilnahmen. Eine erste Ortsbegehung in Oberkassel machte die Problematik der Fundstelle sofort deutlich: „Wir haben schnell festgestellt, dass die Fundstelle weit ab vom Schuss liegt und eigentlich kaum sichtbar ist“, sagt Willem-Jan Beeren.

Fundstelle liegt versteckt im Wald

Heute, rund acht Jahre später, hat sich daran wenig verändert. Wer von der Straßenbahnstation Bonn - Oberkassel Mitte startet und über den breit ausgebauten Franz-Kissel-Weg geht, stößt nur eher zufällig auf einen Stein am Wegesrand, der auf den Nücker Felsenweg hinweist. Nichts aber deutet darauf hin, dass sich nur wenige Meter entfernt eine bedeutende archäologische Ausgrabungsstätte befindet. Der Felsenweg führt nach etwa 100 Metern durch das sommergrüne Gestrüpp des Ennertwaldes zu einer zugewachsenen und in die Jahre gekommenen Informationstafel, die die Fundstelle des Oberkasseler Menschen markiert. Soweit – so unspektakulär: Dem Trampelpfad weiter folgend, wird man allerdings wenige Schritte später mit einer atemberaubenden Sicht auf die steil emporragende Felswand belohnt.

Aussichtspunkt: Student entwickelt Idee

Um den archäologischen Wert des Standortes aufzuwerten, entwickelten die Architektur-Studierenden nach der Ortsbegehung 2013 verschiedene Ideen, um die Ausgrabungsstätte sichtbarer zu machen. Professor Willem-Jan Beeren: „Die meisten Studierenden haben sich direkt am Fundort aufgehalten und zum Beispiel mit Beschilderungen und einer schöneren Zuwegungsgestaltung versucht, auf den Standort aufmerksam zu machen.“ Student Ido de Baat, der heute das Start-up Novalinq im niederländischen Harleem führt, kam schließlich auf die Idee, oberhalb des Steinbruchs auf die Ausgrabungsstätte aufmerksam zu machen. Er entwarf einen überdimensionalen Bilderrahmen, durch den der Blick in den Steinbruch geleitet werden sollte. In den Rahmen wollte de Baat Informationen über den Fund und die Lebensbedingungen der Oberkasseler Menschen einlassen.

Die unterschiedlichen Projekte wurden schließlich einer Kommission, bestehend aus Vertreter:innen des LVR-Landesmuseums Bonn und betreffender Landesbehörden, vorgestellt. Ein Teilnehmer dieser Präsentation war Dr. Thomas Otten, Ministerialrat und Referatsleiter für Bodendenkmalschutz und Bodendenkmalpflege des NRW-Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Der heutige Direktor des LVR-Museums MiQua in Köln erinnert sich noch gut an die kreativen Ergebnisse des Studierenden-Workshops. „Die Ergebnisse zeigten allerdings, dass es an der Fundstelle selbst aus verschiedenen Gründen zu keiner befriedigenden Lösung kommen konnte“, sagt Otten. Besonders interessierte sich die Kommission für die Idee von Ido de Baat: „Wir fokussierten uns mehr auf den Aussichtsplatz oberhalb der Rabenlay, der nicht nur einen Blick auf die ehemalige Fundstelle, sondern auch weit ins Rheintal gewährt.“ Die Idee des Bilderrahmens wurde daraufhin weiterentwickelt und mündete im Entwurf einer Aussichtsplattform.

Konkret geplant wurde die Aussichtsplattform vom Bonner Büro "die3 Landschaftsarchitekten". „Als Hochschule können wir die Studierenden Ideen entwickeln lassen, aber keine Planungsleistung übernehmen wie ein Architekturbüro“, sagt Professor Willem-Jan Beeren. Gebaut wurde schließlich eine geschwungene Holz- und Stahlplattform von knapp 9,40 Meter Länge. Insgesamt 16 Tafeln informieren die Besucher:innen heute über die steinzeitliche Doppelbestattung, das umliegende Naturschutzgebiet, die Geologie sowie Themen zur Baukultur in der Region. Feierlich eröffnet wurde die Plattform im September 2017.

Mehrwert für das Architekturstudium

Für LVR-Museumsdirektor Otten hat sich die Plattform über die Jahre als Erfolgsprojekt erwiesen: „Aus meiner Sicht hat sich die Plattform als Aussichtspunkt am Rheinsteig etabliert, bewährt und eine gewisse Bekanntheit erlangt sowie das wichtigste Ziel erreicht: nämlich eine vergessene und unsichtbare, aber bedeutsame Fundstelle bekannt und erlebbar zu machen.“ Zahlreiche Bewertungen im Internet bestätigen Ottens positiven Eindruck, auch wenn die Plattform und die angrenzenden Wanderwege im August 2021 etwas verlassen wirken.

Welchen Mehrwert hatte das Projekt für Studierenden? „Wir konnten und können daran zeigen, dass praxisnahe und reelle Themen ein zentraler Bestandteil im Architekturstudium bei uns sind“, sagt Willem-Jan Beeren. Darüber hinaus zeige das Projekt in Oberkassel eindrücklich, dass im Architekturstudium von Anfang an reelle Themen bearbeitet werden. „Das ist für unsere Studierenden natürlich toll, dass ernst genommen wird, was man im Studium erarbeitet und entwickelt.“ Das Projekte an der Alanus Hochschule deutlich schneller als an großen Hochschule realisiert werden können, liegt für Beeren vor allem an der engen Betreuung der kleinen Lerngruppen.

Zahlreiche weitere Studierenden-Projekte realisiert

Wie in Oberkassel wurden in den vergangenen Jahren viele weitere Projekte umgesetzt – zum Beispiel an der Freien Waldorfschule in Görlitz, berichtet Beeren: „Ein Student hatte in seiner Bachelorarbeit die Umgestaltung eines leeren Güterbahnhofs für die Waldorfschule thematisch bearbeitet. Das Projekt wurde dann auch tatsächlich in Form eines Auftrages weitergeführt und realisiert.“ Eines der aktuellsten Studien-Projekte ist der Bau der sogenannten Workbox im Unternehmerpark Meckenheim bei Bonn. Dabei haben sich zwei Bachelorstudierende mit nachhaltigen und nachwachsenden Baustoffen beschäftigt und konnten das Experimentalhaus in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Architektur errichten. Über zahlreiche weitere Projekte, die von Studierenden bearbeitet und teilweise realisiert werden, berichtet der Fachbereich Architektur regelmäßig in seinem Online-Magazin „mag“.

Ein Besuch der Aussichtsplattform Rabenlay lohnt sich zu jeder Jahreszeit: Das schlicht gestaltete Bauwerk integriert sich optimal in die umliegende Landschaft. Dabei finden sich an den breiten und befestigten Wegen zahlreiche Schilder und Holzabsperrungen, die darauf hinweisen, die Natur zu schützen und auf den Wegen zu bleiben. Wer den etwa halbstündigen Spaziergang über die Berghovener Straße und den Kucksteinweg nach oben auf sich nimmt, wird besonders an klaren, sonnigen Tagen mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Und erfährt ganz nebenbei etwas über die Oberkasseler Menschen, die hier vor etwa 14.000 Jahren ihre letzte Ruhe fanden.

 

Fotos: Julian Kallabis

Architektur trifft Archäologie: Zu Besuch bei den Oberkasseler Menschen