Es wäre allerdings verfehlt, daraus zu schließen, Selbstoptimierung beträfe den ganzen Menschen. Sie ist vielmehr mit einem reduzierten Bild des Menschen verbunden, das diesen als jemanden versteht, der etwas aus sich zu machen hat. Dieses Konzept zielt also auf den „Selfmademan“ und konzentriert sich dabei auf das technische Know-how und die damit verbundenen Entwicklungsfähigkeiten. Ohne technisches Denken und Handeln, so die Pointe, wäre der nackte und schutzlose Mensch gar nicht überlebensfähig. Was ihm aber zunächst nur dazu verhalf, seine natürlichen Mängel auszugleichen, entfaltet seit Jahrhunderten eine Steigerungsdynamik, der scheinbar keine Grenzen gesetzt sind.
Wege aus der Alternativlosigkeit
Es genügt nicht, auf die Verkürzungen dieses Menschenbildes hinzuweisen und ihm ergänzende oder ganzheitliche Konzepte zur Seite oder entgegenzustellen. Wer es verinnerlicht hat, ist in der Regel davon überzeugt, dass es „funktioniert“ und – oder wenigstens – „alternativlos“ ist. Alternativen müssen daher aus Erfahrungen erwachsen – und zwar aus solchen, die nicht nur aus dem Scheitern des Machbarkeitsdenkens bestehen, sondern aus dem Gelingen von andersgearteten Prozessen.
Ich denke dabei zum Beispiel an Erlebnisse, selbstvergessen in einer Tätigkeit aufzugehen und dabei in Fluss zu kommen, weswegen man auch von „Flow“-Erfahrungen spricht. Solche oft erfüllenden und beglückenden Erfahrungen entziehen sich der Machbarkeit, lassen sich nicht herstellen, sondern müssen sich ergeben. Sie werden dankbar als Geschenk oder gar Gnade erlebt. Mit anderen Worten: Es geht um kreative Erfahrungen, bei denen die Welt nicht zur Verfügung steht, um etwas aus ihr zu machen, sondern in Schwingung gerät und gewissermaßen antwortet. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht daher von „Resonanzerfahrungen“ und weist darauf hin, dass sie unabdingbar für ein gelungenes Leben sind. Wo sie auftreten, ist aber nicht Herstellung, sondern Gestaltung gefragt. Es kommt dabei zu einem schöpferischen Prozess, bei dem man mitgestaltet, mitwächst und sich auf diese Weise auch selbst formt, selbst verwirklicht. Derart gestimmte Begegnungen zu ermöglichen und Resonanzräume für sie zu schaffen, gehört meines Erachtens zu den wichtigsten Bildungsaufgaben unserer Zeit.